es ist kälter geworden

heute ist ein dunkler tag. wir schreiben den 27. februar des jahres 2019. gestern hat die generalkonferenz der evangelisch-methodistischen kirche (emk) in st. louis, missouri den so genannten „traditional plan“ verabschiedet – vorerst mit der konsequenz, dass er auf seine verfassungsmäßigkeit durch den rechtsrat geprüft wird. soweit die blutlose darstellung der fakten. diese nachricht könnte eine von vielen sein, die man*frau ließt und vergisst. doch es geht um viel. die emk ringt seit jahrzehnten mit der frage, wie sie mit menschen mit homosexueller orientierung (ich übernehme hier einmal die abkürzung aus dem englischen ‚lgbtqa+‘, die das spektrum noch deutlich weiter fasst) „umgehen“ kann. können sie innerhalb der kirche dieselben rechte haben – nämlich das recht auf eine krichliche trauung und den dienst als ordinierte – wie menschen mit heterosexueller orientierung. um das zu klären, fand die außerordentliche konferenz in st. louis, mo statt. was hat sie nun geklärt? sie hat geklärt, dass die sexuelle orientierung eines menschen eine kategorie ist, die noch vor der christlichen liebesethik einzuordnen ist. kurz gesagt: wie ein mensch beziehungen lebt ist weniger wichtig, als die menschen, zu denen mann*frau eine beziehung hat. dieser umstand muss erstaunen. insebesondere dann, wenn sich menschen der bibel bedienen, um daraus ihre ethischen werte zu beziehen – was für eine christliche kirche ganz logisch erscheint. dem großen religionsgründer jesus von nazareth werden als grundlage seiner lehre worte zugeschrieben, die gerade die besonders bibelwortbezogen-lebenden menschen (zur vereinfachung „bbzm+“ genannt; hinter dem plus [+] steht der umstand, dass eine solche glaubens-lebens-haltung sehr häufig mit weiteren attributen wie „charismatisch“, „geistlich“, „pietistisch“ ergänzt wird) aufhorchen lassen müssen. in der frage nach dem wichtigsten gebot antwortet jesus von nazareth (die bibel, gute nachricht, evangelium nach matthäus, kapitel 22, verse 37 bis 40): „‚liebe den herrn, deinen gott, von ganzem herzen, mit ganzem willen und mit deinem ganzen verstand!‘ dies ist das größte und wichtigste gebot. aber gleich wichtig ist ein zweites: ‚liebe deinen mitmenschen wie dich selbst!‘ in diesen beiden geboten ist alles zusammengefasst, was das gesetz und die propheten fordern.“ sehr gut wurde in den debatten in st. louis dargelegt, dass die limitierung der betrachtung der menschlichen sexualität äußerst eklektisch ist – und dass an anderen stellen auch besonders bibelwortbezogen-lebende menschen die maxime der liebesethik in matthäus 22,37-40 vor eine reine gebotsethik stellen (vgl. matthäus 18,6ff). dies aber vorerst nur als eine feststellung. eine zweite (ganz knappe, aber doch bedeutende) feststellung ist, dass sich jesus von nazareth nie zur frage von homosexuellen beziehungen geäußert hat. jetzt aber kommt mir (wieder einmal) eine beobachtung in die queere die mich so oder so schon lange umtreibt: schwarz-weiß ist zwar nicht farbig, aber dafür nicht so komplex wie bunt. und da es vielen in dieser welt viel zu bunt wird, muss eine komplexitätsreduzierung her um nicht zu zerfließen. eben: schwarz-weiß ist zwar nicht farbig, aber einfach und klar; also her damit. und entsprechend orientieren sich menschen des bbzm+-spektrums hin zu bbzm+-gemeinden / -kirchen / -gemeinschaften / -gruppen. ich selbst gehöre nicht dem bbzm+-spektrum an. ich halte es mit charles wesley: „unite the pair so oft disjoined, reason and vital piety.“(1) (bringe diese zwei zusammen, die so oft getrennt werden: vernunft und lebendige frömmigkeit.) nur: ich schaue mir die zahlenmäßige entwicklung von gemeinden und gemeinschaften an und stelle fest: bunt schrumpft, schwarz-weiß wächst. (eigentlich erstaunlich – denn in einem echten gewinnsektor, der unterhaltungelektronik und der druckerbranche, ist es seit vielen jahren genau umgekehrt.) was mache ich nun mit, was folgere ich aus all diesen erkenntnissen? eines weiß ich genau: ich werde den schwarz-weiß-weg, den bbzm+-weg nicht mitgehen. saublöd, dass ich mein leben ganz von jesus von nazareth abhängig gemacht habe, ganz von seiner botschaft in matthäus 22,37-40. wie dumm kann man*frau sein, sich ganz an einen menschen zu hängen, der aufgrund seiner botschaft und seiner überzeugungen gerade mal so um die dreißig jahre alt wurde … wie dumm? es geht offensichtlich schlichtweg nicht zusammen: aufrecht gott suchen in einer welt, in der die menschen dabei sind den ozean auszutrinken und den horizont weg zu wischen und menschen für den gott, der immer neu gesucht werden muss (sich aber auch finden lässt) zu gewinnen. es fühlt sich an wie glauben auf verlorenem posten. es ist kälter geworden und wir müssen lampen am hellen vormittag anzünden; neben denen, die mit heterosexueller blut-und-opfer symbolik die modernen kreuzzüge führen.

1 hymns for children, in: poetical works of john and charles wesley, bd. 6, s. 408.

ich kann es nicht verstehen

ich bemühe mich so sehr, menschen zu verstehen, die anderer meinung sind als ich. aber auch mein verstehen hat seine grenzen. heute morgen erst wurde mir das ganz deutlich – als ich zum 32-millionsten Mal (gefühlt) hören musste, dass länder, bundesländer und einzelne politiker*innen nicht bereit sind, menschen auf der flucht aufzunehmen. und die gründe sind fürchterlich einfach – und fordern nur ganz wenig denkvermögen. #erstens: wir leben hier in deutschland – oder genauer gesagt in baden-württemberg in einem teil der welt, in dem sich das leben sicher und recht wohlständig anfühlt. das gilt verglichen mit den zuständen in syrien oder vielen ländern im südlichen afrika auch für die größte anzahl der anderen europäischen länder. nur einmal angenommen, dass aus irgendeinem grund (ein krieg, explodierte atomkraftwerke, eine naturkatastrophe o.ä.) unsere mitteleuropäische heimat unbewohnbar wird und wir mit sack und pack (oder eher ohne das alles) flüchten müssen, dann will ich mal die freude in unseren gesichtern sehen, wenn andere länder es uns gleich tun und sagen: ihr seid ja weder politisch noch sonst irgendwie verfolgt, ihr seid illegale migranten, ihr kommt hier nicht rein. das ist vielleicht im moment nicht das wahrscheinlichste, aber – ganz ehrlich – undenkbar ist es nicht. #zweitens: wer hat eigentlich ein recht auf das land, in dem er geboren ist – wo er doch gar nichts dazu beigetragen hat, sondern es einfach eine gegebene voraussetzung der geburt ist. kindern bringt man bei zu teilen. die erwachsenen hauen denen, die auch einen kleinen teil vom wohlstand abhaben wollen, um überleben zu können, die türe vor der nase zu – oder im schlimmsten fall die schädel ein (so ganz nebenbei, in dem sie sie in dem meer ertrinken lassen, an dem sie sich im sommer im urlaub die bäuche bräunen lassen). diese zwei dinge verstehe ich einfach nicht.

ertappt

vor wenigen tagen war ich einmal aufs neue auf kurzer dienstfahrt unterwegs. ich komme ob der gewählten strecke am baumarkt meines vertrauens vorbei. mir fallen die vergläserten verkaufshallen und die an der strasse ausgestellten sonderangebote in auge. und ich denke ganz unvermittelt: wo ich schon mal hier bin, was könnte ich brauchen? da – zum ersten mal in dieser klarheit – wird mir klar, wie mich mein eigener kopf an der nase herum zu führen versucht – oder einfach gesagt: wie mich mein gehirn verarscht. „ich muss einmal überlegen, was ich brauchen könnte.“ ha, wie dämonisch und hinterhältig hat sich der konsum in meine gehirnwindungen hinein gefressen. nachdenken, was man brauchen könnte. wie konnte dies passieren? wie konnte ich die schleichende umdeutung des wortes „brauchen“ nicht bemerken? wenn ich an dem tag etwas gebraucht habe, dann diese erkenntnis – dachte ich so bei mir und fuhr weiter.

der schlechte fahrer

nun denn. ich habe noch ein hobby, das so eine sache für sich ist. ich fahre motorrad. das ist so ein zwischending zwischen notwendiger fortbewegung und einfach spass am unterwegs sein – ganz nah an … tja, an was eigentllich. fast hätte ich geschrieben: an der natur. dann sind aber die öko-prügel vorprogrammiert. also wohl eher: ganz nah an der straße und an der gefahr. letztes jahr hat es mich wieder gepackt, das motorradfahren. was soll ich nun selbst darüber und über mich selbst denken. alles ist so widersprüchlich. es geht mir um das schützen und bewahren von ressourcen. und dann: ein tag wie heute – runde 350 km einfach nur, weil es spass macht. wobei, es ist nicht der reine spass. denn ich glaube, ich bin ein ganz schlechter motorradfahrer. ich versuche, nicht mehr als 20 km/h über den geschwindigkeitsbegrenzungen zu liegen. ich bin definitiv nicht die schnellste sau auf der piste. im gegenteil, mich überholt schon mal der ein oder andere audi. das fühlt sich seltsam an. und es überholt mich auch der ein oder andere motorradfahrer. zumindest gehe ich instinktiv immer davon aus, dass es fahrer sind und keine fahrerinnen. da liege ich vielleicht falsch. aber es lässt sich einfach – durch den helm verschleiert – schwer feststellen. ich gestehe durchaus männern und frauen zu, schneller und besser zu sein als ich. warum – zum geier – ist es irgendwie wichtig, wer wen überholt? vermutlich ist es das gar nicht. aber ich fühle mich immer minderwertig, wenn ich überholt werde, fühle mich als der schlechte motorradfahrer. na ja, der widerspruch bleibt. denn spass macht es mir trotzdem, weil: ab und zu überhole ich auch mal eine/n. ich kann den fallen einfach nicht aus dem weg gehen. gute nacht allerseits.

ungleichzeitigkeiten

ich kann sehr wohl verstehen, dass unterschiedliche menschen – wie ja der eine mensch immer vom anderen verschieden ist – zur selben zeit verschiedenes hoffen, wünschen, wollen, ersehen, befürchten, verwerfen … nun aber muss es wohl eine form der schizophrenie oder angeborenen lebensunfähigkeit sein, wenn ein und derselbe mensch dies tut. es führt dazu, mit dem schicksal zu hadern und die götter anzuklagen, deren spielball man zu sein scheint. erst recht, wenn das eine wollen auf ein gegenüberliegendes ebensolches trifft, das zu umgreifen man sich wünscht. doch der widerspruch fesselt das selbst an eine große werbeleuchtreklame auf der in buntesten lettern erstrahlt: „was wäre wenn?“ wer diese frage in die vergangenheit setzt, bedauert das leben, das er hätte haben können – sich völlig darüber hinwegsetzend, dass die möglichkeit eines solchen lebens möglicherweise nie bestanden hat. wer sie in die zukunft setzt, bleibt ein träumer. wer sie aber in der gegenwart stellt, bleibt mitten auf der kreuzung stehen … bis ein großes etwas, das weiß, wo es hin will, ihn mit großer geschwindigkeit darniederstreckt. ja (einen bekannten detektiv zitierend), „so geht das!“ gute nacht allerseits.

weihnachten

es ist merkwürdig: weihnachten, das fest des lichts in einer dunklen jahreszeit, und so mitteleuropäisch. es erscheint, als ob alle welt weihnachten als mythos feiert. schnee muss es haben, die natur gefroren, kaminfeuer, traute seeligkeit, tannenbaum und kerzen, weihnachtsmann (in coka cola rot), christkind, familienglück, schnee und kälte. und die wirklichkeit bleibt in 99% der fälle hinter dem mythos zurück. weihnachten ist wohl der am meisten gefeierte mythos dieser zeit. ich schaue mich um und sehe die menschen an eben diesem mythos leiden. familienkrach, die gesteigerte suizidrate, die einsamkeit, die last der konstruierten fröhlichkeit. und um den mythos der weihnacht zu wahren entstanden konstrukte wie „christmas in july“ … zerbruch allenthalben. nun denn: wunsch trifft auf welt, wünschen auf sein. ist gerade das das geheimnis? schon immer? ist weihnachten schlicht geglaubte wirklichkeit? für so viele menschen ist weihnachten wie ein planet, auf den geflüchtet wird angesichts des lebens, das so gar nicht dem mythos entspricht. ein planet, auf den man springt, kurz bevor das eine jahr zum nächsten wird. der vorhoffnungswunsch im übergang zur realität des neuen alltagsjahrs. für viele ist aber der abstand des einen planeten zum andern zu groß und sie fallen in den graben … und treiben dann dazwischen – im luftleeren raum, weit ab von den erspähten christbaumkerzenlichtern der glücklichen – gefangen in der wirklichkeit des gewünschten aber unerreichbaren. so plötzlich ist all das sehnen, wünschen und hoffen konzentriert in kürzester zeit. und daher ist es auch der schmerz des nicht wahr gewordenen. das größte geschenk an weihnachten wäre wohl ein anker im treiben der zeit – damit nicht alles einfach vorbei zieht und dich als insel zurück lässt. gute nacht allerseits.

kleine ewigkeiten

momente, nicht zu greifen.
glück, den körper durchströmend.
begegnungen, so unendlich wertvoll.
musik, die ganze welt durchflutend.
alles ist eins.

nein!
nicht abwägen und nicht aufwiegen:
nicht gutes mit schlechtem,
nicht freuden mit traurigkeiten,
nicht ende mit anfang.

immer wird kampf sein
um das leben, das lebt, wagt und versagt,
sich aufrappelt, sich das messer aus der brust reißt,
die tränen trocknet und wieder alle kraft gibt
bis hin zur höchsten höhe,
zum niederfallen im glück,
zur erschöpfung, zum zerbruch und zum neuanfang.
hin zu den kleinen ewigkeiten,
in denen alles lebt, was die liebe erschafft.

gute nacht allerseits.

insektennächte

diese kleinen tiere wissen genau, was sie anzieht. licht und offenbar das süße blut, das durch des menschen adern fließt. das sind ganz einfache zusammenhänge. und leicht zu beobachten: des nachts durch kleine schwarze punkte an den wänden und des morgens durch kleine rote punkte auf der haut. da sind motivation und reaktion einfach völlig klar. ich fliege dahin, wo licht ist, und sauge den aus, der sich so offen anbietet. das ist einfach, völlig simpel. das schafft so ein insekt ohne nennenswerte gehirnleistung. und ich sitze da, zermartere mir das hirn – vielleicht auch keine große gehirnleistung, aber der versuch zählt – und komme doch nicht so recht auf grüne zweige. dabei mag ich doch auch nur dorthin, wo es wieder hell ist …

schiffe

es gibt abende – wie heute – da ziehen gedanken wie schiffe vorbei. alles ist ganz ruhig, alles lässt sich schön aus der ferne betrachten, vom sicheren, gelegentlich faden ufer. immer wieder: was wäre, wenn du auch an bord dieses schiffes wärst? ist es nicht ein schönes schiff? irgendwann ist das schiff am horizont verschwunden. zurück bleibst du, am ufer … mit süßlichen schmerz erfüllt: wo würdest du jetzt sein, wenn du auch an bord dieses schiffes gegangen wärst … gute reise, schiff! … und gute nacht allerseits.